Was meint ihr zu den "Ohne Holland" Gesängen während unten auf dem Platz Zidane und Co. kicken? Mal abgesehen, dass das recht panne ist, macht Ralf Wiegand von der SZ das Ticketsystem wie auch die mäßigen Spiele verantwortlich.
Na vielleicht kommt noch DAS eine Spiel.
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Party schlägt Sachverstand
Seit der Finalrunde sitzen nicht nur Fans der jeweiligen spielenden Teams in den Stadien, sondern diejenigen, die Karten bekommen haben. Und so löst sich die Veranstaltung von ihrem eigentlich Zweck - jedes Spiel wird zur Party.
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Es ist schon wieder passiert. Diesmal geschah es in Hannover, es war Dienstagabend, und alles nahm seinen Anfang rechts oben unterm Stadiondach, wo Volkes Stimme auf den günstigeren Plätzen sitzt. „Ohne Holland fahr’n wir zur WM“, sangen sie da, während an anderer Stelle der Arena das Publikum La Ola anstieß, jene wohl niemals aussterbende Fitnessübung aus den achtziger Jahren, die gegen eingeschlafene Füße hilft.
Die Woge aus hochspringenden Leibern rollte also durchs Stadion, und direkt dahinter rollte gleich noch eine zweite Welle aus Blitzlichtern, weil sich die Menschen beim Wellemachen auch noch gegenseitig fotografierten. Es war ein absurdes Spektakel, während sich unten auf dem Rasen immerhin Frankreich und Spanien um den Einzug ins Viertelfinale bemühten. Schon nach 20 Minuten hatte ein beträchtlicher Teil der Zuseher das Interesse daran verloren.
Im ausgehenden Achtelfinale der WM, so scheint es, hat die Abkopplung dieser Veranstaltung von ihrem eigentlichen Zweck einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Die Tatsache, dass viele Zuschauer den Spielen ja nicht aus freien Stücken folgen, sondern vom Ticketing-Computer irgendwohin gelost worden sind, schlägt nun durch.
Waren die Vorrundenabläufe noch planbar für die Fans aller Herren Länder und die Stadien daher fast ausschließlich in der Hand der direkt beteiligten Anhänger, kondensiert in der K.o.-Runde nun die überhitzte Nachfrage an der kühlen Zufallsarithmetik der Kartenverteilung.
Dieses emotional zum Teil ungebundene Tagespublikum macht eben, wenn schon keine Karten fürs deutsche Spiel zu haben waren, aus jedem anderen ein deutsches Spiel. Party schlägt in diesem Fall Sachverstand.
Es wäre nun an den Fußballern da unten auf dem Rasen, dieses sonderbare Tribünenvolk mit Leistungen für sich zu begeistern, die auch den glücklichen Losgewinner aus Bergisch-Gladbach in einen Ukraine-Fan verwandeln oder Familie Dombrowski aus Castrop-Rauxel wie selbstverständlich in die Arme der Franzosen treibt.
Von solchen Leistungen aber waren oft nur Spurenelemente zu entdecken. Abgesehen von der ersten Halbzeit der deutschen Elf gegen Schweden, dem Tempostart zwischen Argentinien und Mexiko, dem zwiespältigen Kung-Fu- Drama mit Portugal und den Niederlanden, oder dem beeindruckenden Schlussakkord des Zinédine Zidane beim französischen Triumph über Spanien bot das Achtelfinale – so hart das klingen mag – schlechten, schleppenden Fußball.
Einheitsbrei der guten Laune
Schlechte Stimmung aber bot es nicht. Denn über allen Arenen liegt nach wie vor an jedem Spieltag eine rummelplatzhafte Aufgeregtheit – ein Einheitsbrei der guten Laune.
Was dieser WM aber fehlt, ist das große Gefühl, die einmalige Emotion, der entsetzte Schrei, der aus dem Nichts kommt und die jähe Stille, die verfrühtem Jubel folgt. Was fehlt, ist die bedingungslose Abhängigkeit des eigenen Wohlbefindens vom Spielverlauf.
Was fehlt, ist der Klassiker, der ein paar tausend Zuschauer über die drei Millionen anderen erheben würde: Die waren zwar alle zu Gast bei der Party-WM, aber nur ein Bruchteil hatte dieses eine Fußballspiel gesehen.
Hier versagt auch die Magie der Dauer-Sause, denn solche Spiele geschehen, wenn sie geschehen wollen. Nicht einmal das ungeheuer freundliche Deutschland wird es schaffen, ein WM-Spiel in die Hall of Fame zu singen, schminken, tröten, lächeln oder tanzen.
So lange das Schicksal stur bleibt, werden wir uns daher also an diese WM erinnern als eine, bei der wir Polonäse um die Würstchenbude tanzten und „Lukas Podolski“ sangen, während Zidane spielte.
(SZ vom 29.6.2006)
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