"Immer noch hinter dem Eisernen Vorhang" hatte ich auch. Ich konnte mir zwar schon vor meiner Reise rational zurechtlegen, dass Moskau eine große Stadt ist. Ich konnte mir aber irgendwie nicht bewusst machen, dass Moskau die Hauptstadt einer (nach eigenem Verständnis) Weltmacht ist. Mich hat es an meinem ersten Abend irgendwo innerlich schockiert, am Neuen Arbat langzulaufen, diese riesigen LED-Fassaden zu sehen, morgens um 1 noch einen Burger zu bekommen, geöffnete Clubs und Restaurants zu sehen, mitten in der Nacht ein Taxi zu bekommen...ich wusste, dass es das geben muss, aber ich konnte es mir irgendwie nicht vorstellen.
Bescheuert ist das! Da wohnen 15 Millionen Leute, es wäre doch eher überraschend wenn es da nicht alles das gäbe, was andere Megastädte auch haben! Rational betrachtet musste ich das auch wissen, trotzdem hat's mich vor Ort dann irgendwie umgehauen. Ich weiß nicht woher, aber scheinbar hatte ich ganz unterbewusst doch eine schäbige, rückständige, in grau getauchte Stadt erwartet in der es vielleicht zwischendurch ein paar Sehenswürdigkeiten geben würde, die aber sicherlich von ihrer Attraktivität her deutlich hinter einer westlichen Großstadt wie zum Beispiel Frankfurt zurückbleiben müsste
In Warschau z.B. ging es mir nicht ganz so, aber doch auch ein bisschen ähnlich. Es überraschte mich dort zum Beispiel zu sehen, dass es neben dem Hauptbahnhof ein Einkaufszentrum gibt, dass einfach mal krasser und schöner und besser ausgestattet als jede vergleichbare deutsche Mall ist. Natürlich macht das irgendwo Sinn, Warschau ist ne Riesenstadt und alles was in Polen irgendwie Rang und Namen hat versammelt sich da, da isses klar dass die nicht den ganzen Tag in nem Plattenbau sitzen und trocken Brot futtern. Aber es ist wie gesagt unterbewusst dann doch eine Überraschung und eine positive, von der ich auch glaube, dass sie einem etwas bringt. Man kann sich seine Haltung zu der Politik des Landes, sofern sie einen stört, bewahren, und trotzdem kann man mehr Respekt vor und Verständnis für das Land gewinnen, indem man einfach mal hinfährt.
Zum Visumsprozess auch noch einmal: Ich hab' mein Visum hier in Frankfurt über eines der privaten VFS Global-Zentren besorgt. Das war effizient und professionell und freundlich und es hat funktioniert. Wenn ich als Amerikaner meinen Reisepass hier erneuern möchte stehe ich stundenlang draußen vor der Tür Schlange. Zur Aufbewahrung von Taschen gibt es einzig und allein den Blumenladen am U-Bahnhof der das informell anbietet. Im Warteraum gibt es extra bereitgestellten amerikanischen Wasserkaffee zu extra bereitgestellten amerikanischen Wucherpreisen. Die Räumlichkeiten wirken alle so, als hätte man seit den 60ern keinen Dollar mehr investiert. Man fährt hin mit einer gewissen Vorfreude auf direkten Kontakt mit dem eigenen Land in Diaspora und geht raus mit großen Zweifeln daran, ob sich dieses Land überhaupt mal wieder hinkriegen lässt. Der ganze Prozess ist ein einziges Elend und so komplett das Gegenteil von dem, was so dieses inspirierende Bild von Amerika ist - und das ist nur meine Erfahrung als Amerikaner! Ich will gar nicht wissen wie scheiße das für einen Ausländer ist, der irgendetwas für einen USA-Aufenthalt braucht und dafür extra nach Frankfurt gondeln muss. Wenn man dann als Vergleich so einen Visumsprozess und so eine VFS-Einrichtung für Russland sieht hilft es einem auch da wieder um einordnen zu können, welchen Anspruch man sich an sein eigenes Land bewahren möchte. Auch wenn ich nicht wissen will welcher von Putins Spezln der Betreiber von VFS ist
Ich würd' mich freuen noch einmal auf FAN-ID nach Russland zu fahren. Insofern: Die Aktion ist sicherlich eigennützig von den russischen Behörden und sie dient sicherlich einem selbstdarstellerischen Propaganda-Zweck, aber sie macht andererseits auch eminent Sinn und bringt mir als Besucher letztendlich nur Vorteile. Eigentlich ein Fazit, dass auf viele WM-Erlebnisse zutrifft.