DIE WAHRHEIT
Freitag den 28.12.2007 03:52
„Eine Herzensangelegenheit“
Den Umgang mit dem Wort „Herzensangelegenheit“ inflationär zu nennen, ist noch untertrieben. Es grassiert wie die Pest. Alles, wirklich ALLES wird zur Herzenangelegenheit ernannt. Wir regen uns drüber auf – eine Herzensangelegenheit.</IMG>»Wie jauchzt meine Seele – Und singet in sich! – Kaum, dass ich's verhehle – So glücklich bin ich.«
Schon der alte Romantiker Joseph von Eichendorff wusste genau, wie eine echte Herzensangelegenheit auszusehen hat. Und keiner konnte es so schön in Worte fassen wie er. »Wie jauchzt meine Seele – Und singet in sich!« Es lässt sich nur erahnen, wie sich der Freiherr beim Verfassen dieser Zeilen gefühlt haben muss. Vielleicht hauchte ihm eine holde Schönheit einen Kuss auf die Wange. Vielleicht umtanzten ihn Feen oder goldene Sternchen. Was es auch war, Eichendorff hatte in diesem Moment sicherlich sein gesamtes Leben zur Herzensangelegenheit erklärt.
Ob es Stefan Beinlich ähnlich ging? Oder Giovanni Federico? Oder Torsten Frings? All diese Herren gaben nämlich kürzlich an, aus tiefstem Herzen heraus gehandelt zu haben. Den Rostocker Stefan Beinlich trieb der simple Gedanke an eine Rückkehr zu seiner Jugendliebe FC Hansa von alleine an den Verhandlungstisch – schließlich sei der Verein für ihn eine »Herzensangelegenheit«. Ähnlich entfloh es auch dem Munde des Deutsch-Italieners Giovanni Federico, der noch vor Saisonende vom KSC zu Borussia Dortmund wechselte. Torsten Frings, der reumütige Bremer, beendete seine Schmonzette mit Juventus Turin ebenfalls mit jenen bedeutungsschwangeren Worten, die uns beweisen sollten, wie romantisch Fußballer doch manchmal sind: Werder Bremen? »Dieser Verein ist für mich eine Herzensangelegenheit!«
Verliebt in einen Sack Reis
Der Trend zur Eichendorff’schen Herzensangelegenheit ist neu. Und wie alles, was irgendwie neu ist, findet auch dieser Trend seine Nachahmer. Immer buntere Blüten treibt dabei die Schamlosigkeit, mit der alles und jeder zur Herzensangelegenheit erklärt wird. Den TSV 1860 München umwehte bislang ein Image, welches dem berühmten Sack Reis in China gleich kam. Dieser Verein, eine Herzensangelegenheit? – eigentlich unmöglich! Wie unmöglich, das zeigte uns der Ex-Nürnberger Markus Schroth. Ein simples Vertragsangebot der »Sechziger« genügte, und schon floss Schroth die »Herzensangelegenheit« aus dem Mund. Dabei ist anzunehmen, dass Schroth nur den Drohungen seiner Frau zuvor kam, die wohl lieber über den Münchner Marienplatz schlendert, als durch die Nürnberger Fußgängerzone - auch eine Herzensangelegenheit! Der Beruf des Trainers blieb ebenso wenig verschont. Kölns designierter Meistermacher Christoph Daum lehnte noch im November 2006 ein Vertragsangebot des 1. FC Köln ab - aus gesundheitlichen Gründen, wie Daum betonte. Was folgte war ein Sturmlauf bitter enttäuschter FC-Fans, die Daum beschuldigten, den FC im Stich zu lassen. Daraufhin rang sich der sonst so standfeste Fußballlehrer – von schwere Gewissensbissen geplagt – doch noch eine Zusage ab. Natürlich nicht ohne die entsprechende Verankerung des Vereins in seiner Seele hervorzuheben: »Ich helfe euch. Denn dieser Verein ist für mich eine Herzensangelegenheit!«
Georgische Liebesbeichten an die Pfalz
So etwas wie der schwarze Gürtel im Austeilen von Herzensangelegenheiten umgibt zweifellos den Bauch von Klaus Toppmöller. Der Pfälzer war gerade mal ein Jahr lang im Amt des georgischen Nationaltrainers, als bei seinem Heimatverein 1.FC Kaiserslautern der Posten des Cheftrainers frei wurde. In altbewährter Matthäus-Manier grätschte sich »Toppi« ins Rampenlicht und bot den Pfälzern uneigennützig seine Hilfe an. »Wenn ich an Kaiserslautern denke, tut mir das Herz weh,« jammerte der Altmeister aus dem 4000 Kilometer entfernten Tiflis. »So viele ausländische Spieler – wie sollen sich die Leute mit der Mannschaft identifizieren?« Seltsamerweise, so Toppmöller weiter, habe sich noch kein Verantwortlicher des FCK bei ihm gemeldet. Er möchte jedoch noch einmal betonen, wie sehr dieser Verein für ihn eine... – äh Danke, Toppi, den Rest kennen wir.
Die Reihe romantisch veranlagter Fußballtrainer ließe sich beliebig lang fortsetzen: Magath zum HSV? Wäre dem Felix ’ne »Herzensangelegenheit.« Heiko Bonan als Retter des Regionalligisten Rot-Weiß Ahlen? Für Bonan, den alten Ahlener, eine echte »Herzensangelegenheit.« Zuhause verliert die Hertha jedes Spiel? Falko Götz trotzt seinen Kritikern wie die Fackel dem Sturm. »Ich bleibe in Berlin. Hertha ist für mich eine Herzensangelegenheit!« Ach Falko, wo wäre Berlin heute ohne deine Liebeserklärungen?
Naht Rettung aus Suriname?
Ein Hoffnungsschimmer bleibt zwischen all dem wimmernden Herzschmerz: Noch kein Fußballprofi hat sich öffentlich getraut, den VfL Wolfsburg zur Herzensangelegenheit zu erklären. Auch Tasmania 1900 Berlin, die B-Jugend von Bayer Leverkusen und die Alten Herren des Karlsruher SC blieben von dieser Etikettierung bislang verschont. Der surinamische Nationalspieler Rodney Van Engel stellte mit Blick auf die aktuelle WM-Qualifikation jüngst sogar fest: »Aus eigenem Antrieb schaffen wir das nie, für die Surinamer ist Fußball nämlich keine Herzensangelegenheit.« Dass der Vertragsamateur wenig später zum belgischen Zweitligisten KV Mechelen wechselte und Insidern zufolge höchst emotional reagierte, als man ihn auf seinen neuen Arbeitgeber ansprach, verschweigen wir an dieser Stelle höflich. Man möchte meinen, eine echte...
Bei soviel Hang zu Sentimentalitäten drängt sich die Frage auf, woher der Trend zur »Vereinophilie« eigentlich rührt. Bietet das raue Leben eines Fußballprofis zu wenig Platz für die Entfaltung der eigenen Libido? Schadet die Transferpolitik dem deutschen Wortschatz? Und wann entdeckt wohl der erste russische Ölmilliardär das dramaturgische Gehalt einer Bundesliga-Telenovela? Eines ist sicher, würde der alte Joseph Freiherr von Eichendorff heute noch leben – er säße sicherlich mit Notizblock und Bleistift vor der Sportschau und lauschte den romantischen Erläuterungen von Torsten Maria Frings: »Und frag ich und sinn ich – Wieso nach Turin? – Mein Liebchen herzinnig – Ich bleibe in Bremen.« Werder, oh Werder, du bist mir eine echte Herzensangelegenheit!