Der Rasen im Stadion von Mocaco sieht aus, als hätten sie dort erst vor ein paar Wochen das letzte Zuckerrohr geschlagen. Wer hier Fußball spielt, verdient 350 Real im Monat (130 Euro), und wenn wieder mal ein Spiel verloren geht, müssen die Spieler schnell den Platz verlassen, weil die Fans mit Prügeln drohen. So ist das beim FC Radium in Mococa, 70.000 Einwohner, 300 Kilometer entfernt von São Paulo: Der Fußball dort braucht große Träume.
Douglas Rodrigues ist 20 und Stürmer beim FC Radium. Er ist ein guter Techniker und hat Talent, obwohl er etwas schmächtig wirkt. Er steht im Stadion von Mocaco und erzählt von seinem Traum, dem Ronaldinho-Traum. Und davon, wie nahe er schon war und wie alles doch in Deutschland scheiterte.
Seine Familie kommt aus einem Vorort von São Paulo, der Vater ist Beamter, der Bruder hat Jura studiert. Douglas hat sich immer nur für Fußball interessiert. Die Schule brach er ab, er spielte bei Provinzvereinen, für einen großen Club reichte es nie. "Man muss die Trainer bestechen, damit sie den Jungen überhaupt ansehen", sagt sein Vater Roberto, der viel Geld ausgab für die Karriere seines Sohnes.
Sie fuhren oft zum Büro des Fußballverbandes, immer auf der Suche nach der großen Chance, nach einem Verein, der neue Spieler braucht.
Wilson Bellissi, ein Spielervermittler, sprach ihn dort an: "Warum schickst du deinen Sohn nicht nach Europa?" Er stelle gerade eine Gruppe Nachwuchskicker für Rumänien zusammen. Spieler in alle Welt will er schon vermittelt haben, nach Iran und die Arabischen Emirate, nach Kuweit und Tunesien.
Brasiliens Fußballer spielen heute in der ganzen Welt, es sind mehr als 5.000. Sie sind wie ein Versprechen auf einen schönen, besseren Fußball. Die meisten werden nie so reich wie Ronaldinho, aber sie verdienen mehr als in Mococa. "Wir sahen", sagte Vater Roberto "schon die Euros blinken."
Er verkaufte seinen alten Chevy, buchte dem Sohn ein Ticket und gab ihm 100 Dollar Taschengeld. am Flughafen von São Paulo stand Tetris Bellissi, der Bruder des Spielervermittlers.
Tetris versteht nichts von Fußball, er ist Zahnarzt und spricht ein wenig englisch. Die Jungs sind zu sechst, alle aus São Paulo. Dann sagt Tetris. "Der Deal in Rumänien ist geplatzt, wir fliegen nach Moldau, ihr werdet beim FC Zimbru spielen."
Rumänien, Moldau, Zimbru, ungehörte Orte sind das, sie steigen ins Flugzeug.
Mit Zwischenstopp in Frankfurt geht es nach Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau. Doch der Kontaktmann dort erscheint nicht, sie übernachten im Transitbereich, am Morgen meldet sich Tetris´Bruder, der Spielervermmittler, aus dem fernen São Paulo. "Zimbru will euch nicht mehr, wir fliegen nach Frankfurt. Der FSV Mainz 05 ist interessiert".
Deutschland, Bundesliga, Mainz, das klingt gut, die Jungs legen ihr letztes Geld zusammen.
In Frankfurt meldet sich wieder São Paulo. "Bleibt am Flughafen", sagt der Spielerberater. "Morgen werdet ihr abgeholt." Sie beginnen die Terminals des Rhein-Main-Flughafens zu erkunden. Sie waren noch nie im Ausland, sie haben kaum mehr Geld. Tetris kauft Toastbrot und Kochschinken. Zum Schlafen rollen sie sich in einer Ecke zusammen, mehrmals in der Nacht wechseln sie den Terminal, aus Angst vor Polizeikontrollen.
Nach fünf Tagen hat sich der FSV Mainz immer noch nicht gemeldet. Auch Tetris geht jetzt langsam das Geld aus.
Sein Bruder verspricht ihm, 1000 Euro zu überweisen. Ausserdem hat er einen neuen Plan: "Mainz klappt nicht. Ich verhandle mit Eintracht Frankfurt".
Es gibt einen Werbespot von Nike, den in Brasilien jedeer kennt. Er zeigt Ronaldo, Ronaldinho, Roberto Carlos, Brasiliens Helden, wie sie sich auf einem Flughafen die Wartezeit vertreiben. Sie fangen an zu spielen, sie zeigen ihre Kunststücke und bald verzaubern sie den ganzen Termina. Douglas und die Jungs zaubern nicht, sie betteln, zweimal am Tag gehen sie auf Tour, sie schnorren am Schlater von Varig, der brasilianischen Airline. "Zehn Euro" sagt er, "haben wir immer zusammengekriegt". Für den größten Hunger reicht es, nicht aber für die teuren Duschen.
Die Eltern in Brasilien ahnen nichts. Douglas hält durch, so nah am Ziel so nah am großen Traum, zu nah, um einfac aufzugeben. Tetris, der Zahnarzt, schreibt wütende Emails an seinen Bruder.
"Durchhalten" heißt es aus Brasilien. "Wenn Eintracht nicht will, probieren wir es bei Hansa Rostock oder Energie Cottbus".
Nach mehr als zwei Wochen verliert Douglas die Hoffnung. An einem Samsung-Stand im Terminal 1 kann man umsonst ins Internet, er sendet eine Email nach Hause.
Der Vater in Brasilien sagt: Komm zurück. Der Bruder schaltet die Medien ein. Ein Lokalsender aus São Paulo schickt sofort ein Team nach Frankfurt. Auf den Bildern aus Deutschland sieht Douglas aus, als könnte er ein Bad gebrauchen. "Ich habe Hunger spricht er in die Kamera.".
Am nächsten Tag, drei Wochen nach seinem Abflug aus São Paulo, kehrt Douglas zurück. In Brasilien tritt er in einer Talkshow auf. Einn paar Leute versprechen sich für ihn bei Corinthians einzusetzen, dem größten Club von São Paulo. Stattdessen bekommt er einen Vertrag beim FC Radium, draußen bei den Zuckerrohr-Bauern. Sein Vater hat den Spielervermittler verklagt, er will das Geld zurück für den Flug nach Europa.
Die anderen fünf sind noch geblieben, eine brasilianische Flughafenangestellte hat sie aufgenommen in ihrer Wohnung. Sie sollen es noch bei TSG Neu-Isenburg und bei Viktoria Aschaffenburg versucht haben, zwei Amateurvereinen, es hat auch nicht geklappt. Sechs Wochen nachdem Douglas nach Brasilien zurückgekommen ist, kehren auch sie wieder heim.
Spielervermittler Bellissi hat schon einen neuen Plan. Zwei von ihnen will er nach Mazedonien vermitteln, als Leihspieler, danach sollen sie zu Viktoria Aschaffenburg wechseln. Anfang 2007. Ganz sicher..
Quelle: Der Spiegel vom 4.9.2006