ZitatAlles anzeigenAuf der Insel stehen die Züge still
Dieses Weihnachten wird so manchen Briten der Inselkoller erfassen: Viele Flüge zum Festland und innerhalb des Landes wurden wegen Nebels abgesagt. Doch nicht nur das: Nach jahrhundertelanger Tradition fährt an den Feiertagen kein Zug. Das wollen die Inselbewohner nicht mehr hinnehmen.
London - Dichter Nebel über London, Zehntausende Flugpassagiere, die am europäischen Luft-Drehkreuz Heathrow festsaßen - ein Horrorszenario kurz vor Weihnachten. Und während anderswo in Europa Reisende wenigstens noch auf die Bahn zurückgreifen können, um rechtzeitig zum Fest nach Hause zur Familie zu kommen, bleibt den Briten nicht einmal diese Alternative: Für Normaleuropäer unvorstellbar, fährt im Vereinigten Königreich über Weihnachten kein Zug. Während also beispielsweise in Deutschland Hunderttausende mit der Bahn zu Familie oder Freunden unterwegs sind, wird in Großbritannien am 25. und 26. Dezember das Schienennetz de facto im ganzen Land stillgelegt.
"Das ist vorsintflutlich", schimpft Anthony Smith von der Verbraucherorganisation Passenger Focus. "Die Menschen heutzutage sind viel mobiler als früher, sie wollen nicht mehr für zwei Nächte wo auch immer gefangen sein, nur weil kein Zug fährt", pflichtet ihm der Labour-Abgeordnete John Grogan zu. Dabei haben die Briten noch Glück im Unglück. Denn bei Ihnen ist der 24. Dezember kein Feiertag, auch die Geschenke gibt es erst am ersten Weihnachtstag. Deshalb fahren zumindest an Heiligabend noch Züge; allerdings nur bis höchstens 22 Uhr. Dann ist bis auf ganz wenige Notverbindungen für fast 60 Stunden Ruhe auf den Gleisen, die ersten Bahnhöfe werden erst wieder am 27. Dezember ab 6 Uhr morgens bedient.
Aufstand im Parlament
Gegen diese Uralt-Tradition hat der Passenger Focus nun Mitglieder des Parlaments aktiviert. Rund 30 Abgeordnete aus den verschiedensten Parteien wollen die jahrhundertealte Tradition brechen. Sie verlangen von den Bahngesellschaften, wenigstens versuchsweise zumindest am zweiten Feiertag Züge fahren zu lassen. Damit solle geprüft werden, ob es nicht doch eine ausreichende Nachfrage und damit genug Einnahmen für die Bahngesellschaften gäbe. "Nur, wenn mal ein Versuch gemacht wird, können wir herausfinden, ob es einen Nachfrage gibt", betont Verbraucherschützer Smith.
Wahrscheinlich ist eine große Nachfrage schon, nicht umsonst heißt der zweite Feiertag bei den Briten "Boxing day" - als Hinweis darauf, dass an diesem Tag Geschenkboxen zu allen Freunden gebracht werden. Ohne Züge ist das aber schwierig. Der Abgeordnete Grogan hat deshalb dieser Tage eine Petition ins Parlament eingebracht, mit der die Bahngesellschaften verpflichtet werden sollen, am 26. Dezember zumindest einen rudimentären Fahrplan anzubieten.
Diese Petition würde aber frühestens 2007 etwas bringen. Also wird es auch in diesem Jahr wieder nichts mit größeren Reisen für Leute wie Lara Ryder aus London. Sie hat wie immerhin ein Viertel aller Haushalte in Großbritannien kein Auto und ist auf Züge angewiesen. "Ich würde ja sehr gern meine Eltern auf dem Land besuchen", sagt die 32-Jährige. "Aber drei Tage lang bei ihnen auf dem Dorf ist mir einfach zu lange." Deshalb fuhr Moss schon am vergangenen Wochenende für einen Tag zu ihren Eltern, das ersehnte Familien-Weihnachten fällt wieder aus.
"So ist es - und so läuft das nun einmal hier"
Derlei Schicksale sind den Bahngesellschaften bisher völlig egal. "Wir müssen das noch einmal prüfen", sagt zwar ein Sprecher der Vereinigung der Bahnbetreiber. "Aber wir müssen auch an unser Personal denken. Unsere Leute wollen auch Weihnachten haben." Dies allerdings ist ein fadenscheiniges Argument: Die Eisenbahnergewerkschaft Aslef hat nämlich schon signalisiert, dass es durchaus genug Freiwillige für Fahrten über Weihnachten geben würde. Dafür müssten die Arbeitgeber aber an den entsprechenden Tagen den doppelten Lohn zahlen und einen zusätzlichen Urlaubstag anbieten, fordert die Gewerkschaft.
Das wiederum wollen die Eisenbahngesellschaften nicht. Wenn ihnen die Diskussion zu bunt wird, ziehen sie sich einfach wieder auf die Tradition zurück - und darauf, dass althergebrachte Bräuche heilig seien. So erklärt ein Sprecher der das Schienennetz kontrollierenden Gesellschaft Network Rail lapidar: "Es hat niemals einen Zugservice in Großbritannien an Christmas Day und Boxing Day gegeben. So ist es - und so läuft das nun einmal hier."

Die Inselaffen wohnen doch echt hinterm Mond
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