20minuten.ch: Oh, heile Fussballwelt – im TV - Neben dem platz
ZitatAlles anzeigenOh, heile Fussballwelt – im TV
Sportminister Samuel Schmid sah am Sonntag das Spiel in Wien und zog danach ein erstaunliches Fazit: Das Spiel am Vortag in Basel habe ihm sicherheitsmässig besser gefallen - denn mit Rauchpetarden könne er nichts anfangen. Rauchpetarden? Das TV-Publikum stand vor einem Rätsel.
Ein kroatischer Fan stürmt das Fussballfeld in Wien am Sonntag. Der Sicherheitsmann strauchelt, kann ihn nicht einholen. (Alle Bilder: AFP)
Er wird dann dennoch abgeführt.
Des Rätsels Lösung heisst Zensur: Denn in der Tat hatten kroatische Fans nach dem frühen Führungstor einen ganzen Sektor eingenebelt. Doch das war im Fernsehen nur etwa eine Sekunde lang diskret im Hintergrund zu erkennen. Rasch schwenkte die Kamera weg und zeigte Jubelbilder «sauberer» Fans in einem anderen Bereich des Stadions.In der 67. Minute durchbrach auch noch ein kroatischer Fan die Sicherheitsabschrankungen, offensichtlich in der Absicht, auf das Spielfeld zu rennen. Am Fernsehen wurde später lediglich gezeigt, wie der Mann abgeführt wurde.
Massiver technischer Aufwand
Die Auswahl der Bilder ist kein Zufall. Erstmals produziert die UEFA das internationale TV-Signal gleich selbst. Im Einsatz stehen 30 Kameras, ein Helikopter, sieben Super-Zeitlupen-Kameras und eine High-Speed-Kamera, die über 500 Bilder pro Sekunde aufnimmt.
Doch was gezeigt wird, unterliegt nicht primär journalistischen Kritierien. Vielmehr möchten die Veranstalter offensichtlich das Bild einer sauberen, problemlosen Europameisterschaft vermitteln.
Die zuständigen Leute vor Ort «entscheiden situationsbedingt», sagt Pascale Vögeli von der Euro 2008 SA. Sie räumt aber ein, dass die UEFA kein Interesse daran hat, unschöne Vorfälle breit darzustellen. «Wenn sich ein paar Gestörte auf der Tribüne die Köpfe einschlagen, zeigen wir das sicher nicht.»
«Keine Plattform für Chaoten»
Die Fernsehübertragung dürfe «keine Plattform für Chaoten» sein, sagt Vögeli und weist auch auf den Nachahmungseffekt hin: Bilder zum Beispiel von Flitzern könnten andere Besucher animieren, ebenfalls aufs Spielfeld zu rennen.
Noch vor vier Jahren war das anders - das Bild des legendären Flitzers «Jimmy Jump» während des EM-Finals ging um die Welt. Aber damals waren noch nicht PR-Strategen für die Bilder verantwortlich, sondern die Europäische Rundfunk Union (EBU), der Zusammenschluss von mehr als 70 Radio- und Fernsehanstalten.
Die absolute Hoheit über das gesendete Material hat die UEFA allerdings nicht. Denn die nationalen Fernseh-Anstalten können eigene Kameras im Stadion positionieren und dementsprechend eigene Bilder in die Übertragung einspeisen. Ob sie ein Interesse haben, kontroverse Bilder zu verbreiten, ist wieder eine andere Frage.
Die ungeschminkte Wahrheit im Netz
Wer die ganze Wahrheit über die Spiele erfahren will, ist aufs Internet angewiesen. In Blogs und Foren wird alternatives Fotomaterial in Windeseile verbreitet. Gegen die Amateuraufnahmen sind auch die Sittenwächter der UEFA machtlos.
Auf YouTube findet sich überdies Filmmaterial. Meist allerdings nur sehr kurz, denn die UEFA lässt die Website laufend prüfen und sorgt dafür, dass die urheberrechtlich geschützten Sequenzen aus den Stadien umgehend vom Netz genommen werden.
Quelle: SDA/ATS