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Dortmund oder Schalke? Ich bin bi!Wuppertal. Es gibt Dinge, die sind, wie sie sind: Rechts ist nicht Links, Schwarz nicht Weiß, Schalke nicht Dortmund. Während es zwischen Rechts und Links noch die Mitte gibt und Schwarz und Weiß sich zu Grau vermischen lassen, lässt die Frage, ob BVB oder S04 kein Mittelding zu. Oder doch?
Er wohnt in Wuppertal und möchte seinen Nachnamen nicht verraten. Denn er hat eine Eigenschaft, die von anderen Menschen als unnormal, ja, als unvorstellbar angesehen wird: Marco ist bi - er ist gleichzeitig Fan von Borussia Dortmund und Schalke 04. Sein Bericht.
Irgendwie hatte ich es schon lange gespürt, dass der Tag kommen würde. Der Tag, an dem es hieß, endlich Farbe zu bekennen. Farbe zu bekennen, auf welcher Seite man steht. Oder sollte es etwa immer so weiter gehen? Dieses ständige Hin- und Hergerissen sein. Nicht wissen wohin man tendiert, wohin man gehört. Die schlaflosen Nächte mit den immer wiederkehrenden, quälenden Gedanken. Das alles war auf die Dauer ziemlich zermürbend und konnte nicht gutgehen, und plötzlich war er da – der Tag, vor dem ich mich gefürchtet hatte, der gleichsam aber eine Befreiung bedeutete.
Ein ganz normaler Freitagnachmittag im Getränkeladen.Mein fußballkundiger Stamm-Getränkehändler, bei dem die Kinder regelmäßig einen blauen Gummischlumpf als Anfixum bekommen, sagte zu mir die Worte, die mein Leben auf den Kopf stellen würden: „Irgendwann muss man sich entscheiden!“
Gemeint war damit die Antwort auf die Frage, ob man gleichzeitig Fan von zwei Fußballvereinen sein kann, deren Anhänger lieber 200 Kilometer Umweg inkauf nehmen, als auch nur annähernd den Fuß auf das gegnerische Stadtgebiet zu setzen. Es sein denn, es geht zum Derby.
Das innere Derby beginnt mit einem FerienjobMein inneres Derby begann jedoch weit vor diesem ominösen Freitag im März. Ich war 16 Jahre alt, Schüler, und wurde von einem Bekannten aus meiner Straße gefragt, ob ich Lust hätte mir ein paar Mark hinzu zu verdienen. „Was ich denn dafür tuen müsse?“, wollte ich von ihm wissen. „Gemeinsam mit einem kleinen Team nach Dortmund fahren und Bier verkaufen. Bier, Cola und Limonade. Nichts Großes also.“
Getränke verkaufen war sicherlich nichts Großes. Doch das "Wo" war der entscheidende Auslöser. Nicht irgendwo, sondern im Westfalenstadion, wie es damals noch hieß. Besser gesagt, mitten im Herzen des Westfalenstadions, direkt unter der Südtribühne. Von da an nahm das Schicksal seinen Lauf. Ich wurde infiziert. Infiziert mit einem Virus, den alle Fußballfans und aktiven Fußballer kennen.
Pokalschlachten und Rasenduft
Ich verdiente nicht nur mein eigenes Geld mit dem Verkauf von Getränken, sondern durfte gleichzeitig die stimmulierende Mischung aus Rasenduft, Fangesängen, Jubelszenarien und mitreißenden Bundesliga-, DFB- und Uefa-Pokalschlachten genießen. Lars Ricken, Stephane Chapuisat, „Susi“ Zorc, Teddy de Beer, Norbert Dickel und Ottmar Hitzfeld waren mir so vertraut, wie die Jungs, denen ich das Bier aus der 0,3-Literflasche in unter drei Sekunden in den Becher goss.
Eine schöne Zeit war es, eine Zeit, die so immer hätte weitergehen können.
Sie ging auch lange gut, bis meine Freunde mir ein Geburtstagsgeschenk machten. Nicht irgendeins. Keines dieser einfallslosen, bei dem man gute Miene zum bösen Spiel macht und sich hinterher freundlich bedankt um dem Gast nicht vor den Kopf zu stoßen.
Etwas Weiches und BlauesSo wie sich das Papier anfühlte, war es etwas Weiches, etwas, das sich anschmiegt. Ich riss das Papier auf, in freudiger Erwartung, was die Jungs sich hatten einfallen lassen. Doch als ich mein Geschenk in den Händen hielt, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ein Schal.
Ich habe im Sommer Geburtstag. Da ist ein Schal an sich schon etwas Ungewöhnliches. Doch dieser Schal war anders. Er war blau und weiß! Aufschrift: FC Schalke 04! Und das mir! Wo ich doch regelmäßig alle 14 Tage unter der Südtribühne stand und glücklich war mit glücklichen Borussen, die glücklich waren, wenn ich ihnen Bier verkaufte. Was ich den Jungs damals gesagt habe, weiß ich nicht mehr, sie haben es gut gemeint. Sicherlich, sie haben es bloß gut gemeint, schließlich waren sie alle eingefleischte Schalke-Fans.
Pendeln zwischen Westfalen- und ParkstadionDer weitere Verlauf ist schnell erzählt:
Von nun an fuhr ich nicht nur alle 14 Tage nach Dortmund, sondern immer öfter führte mich mein Weg ins Parkstadion nach Gelsenkirchen.
Diese ständige Rivalität war das, was mich förmlich zerriss. Wer bist du eigentlich? BVB oder S04? Blau-Weiß oder Schwarz-Gelb? In der einen Woche freute ich mich für die Borussen, in der anderen sang ich lauthals „Blau und weiß, wie lieb ich dich.“ Nur nicht auffallen, um keinen Preis. Ein inneres Märtyrium. Niemand da, dem man sich anvertrauen kann. Wie auch? „Fähnchendreher“ und „Weichei“ wären wahrscheinlich noch die nettesten Beschimpfungen meiner Person gewesen, wenn ich mich geoutet hätte. Die Zeit war einfach noch nicht reif für Leute wie mich.
Die Kinder stellen FragenDie Jahre vergingen und mit ihnen kamen die Kinder. Kinder stellen Fragen – viele Fragen. Bislang haben sie mich noch nicht gefragt: „Papa, welche ist eigentlich deine Lieblingsmannschaft?“ Wahrscheinlich würde ich sagen: „Eigentlich Dortmund, denn ich war jung und brauchte das Geld. Eigentlich aber auch Schalke, denn ich wollte die Jungs nicht hängen lassen.“ Diese Frage musste mir dann ausgerechnet mein Lieblingsgetränkehändler stellen. Heute weiß ich, er hatte Recht.
„Irgendwann muss man sich entscheiden!“Letztendlich habe ich mich entschieden. Ich bin „Bi“, und das ist gut so. Vielleicht mache ich mit meiner Geschichte Fußballfans, die in den nicht mehr ganz so dunklen Ecken des Ruhrpotts zuhause sind Mut, sich zu outen und sich zu verbünden.
Ach ja, und dann gründen wir gemeinsam den ersten Schwarzgelb-Blauweißen Fanclub der Bundesligageschichte.
Dortmund oder Schalke? Ich bin bi! - DerWesten Spezial - 100 Jahre BVB - DerWesten