ZitatAlles anzeigenDie Spieler von Viktoria 1889 Berlin legen derzeit Extraschichten ein. Ein Ostersonntag im Kraftraum, ein Trainingslager zu Pfingsten – der Ehrgeiz treibt die Tempelhofer fast täglich auf den Platz: gestern Flankenläufe, heute Standards und morgen Abseitsfallen. Jeder Bundesligatrainer würde sich über so viel Ehrgeiz seiner Schützlinge freuen. Doch die Verbandsliga-Kicker haben immerhin die Chance Deutscher Fußballmeister zu werden. Am 28. Juli 2007 wollen sie im Berliner Friedrich-Ebert-Stadion die Trophäe in den Himmel recken. Quasi stellvertretend für ihre fußballerischen Ur-Ur-Ahnen, denen das vor 113 Jahren verwehrt blieb.
1894: Der Fußball rollte erst seit wenigen Jahren in Deutschland, es gab nur eine handvoll Vereine, aber immerhin zwei große Regional-Verbände. Und die verabredeten 1894, ihre Meister gegeneinander antreten zu lassen. Im Deutschen Fußball- und Cricket-Verband hatte sich kurz zuvor Viktoria Berlin den Titel gesichert. Die Süddeutsche Fußball-Union schickte Hanau 93 ins Rennen. Doch Hanau 93 konnte das Geld für die Reise zum Endspiel nach Berlin nicht aufbringen. Und so blieb die Frage offen, wer 1894 die beste deutsche Fußball-Mannschaft war.
2006: Viktorias Präsident Sven Leistikow möchte den Verein durch eine Internetseite modernisieren. Als es an die obligatorische Vereinschronik geht, stößt er auf diese Lücke in der Ehrentafel und die Frage: War Viktoria zweimal oder dreimal Deutscher Fußballmeister? 1908 und 1911 sind als Meisterschaften vom DFB verbrieft. Aber 1894? Leistikow ruft beim damaligen Gegner in Hanau an, erhält aber keine Antwort. Wenige Monate später meldete sich überraschend Thomas Thamberg. Er war gerade Präsident von Hanau 93 geworden und arbeitete ebenso wie Leistikow die Geschichte seines Vereins auf. Der FC Hanau 93 nennt sich auch „ältester Fußballverein Hessens“ und spielt in der Bezirksliga. Und tatsächlich: Hanau 93 hat nach 113 Jahren das Reisegeld zusammen und ist bereit zum Vergleich mit den Berlinern.
Seitdem sind beide Seiten heiß auf diesen Event. Ein Hinspiel wird es am 21. Juli in Hanau geben. Eine Woche später soll es in Berlin zum großen Showdown kommen. Und dabei soll es an nichts fehlen, was es bei einem Endspiel 1894 nicht auch gegeben hätte. Leistikow: „Wir wollen rund ums Stadion einen zeitgenössischen Markt veranstalten. Die Mannschaften werden in Traditionstrikots spielen und dabei lange Hosen tragen. So wie 1894.“
In der Mannschaft wird viel diskutiert über "das Spiel". Ähnlich wie das Team von 1894, das sich zu gleichmäßig aus Arbeiterschaft und Bürgertum zusammensetzte, ist Viktoria auch 2007 wieder ein Spiegelbild der Berliner Gesellschaft: Spieler aus sechs Nationen kämpfen gemeinsam um Punkte und Tore.
Für sie geht es dabei übrigens auch um die Rekordmeisterschaft innerhalb der Stadt: Bis zum ersten Weltkrieg zählte der Verein zu Deutschlands ersten Fußballadressen. 1908 und 1911 holten die Mannen um den Nationalspieler Helmut Röpnack zweimal die Deutsche Meisterschaft. Hertha BSC wurde erst viel später zum großen Konkurrenten, brachte es bis heute aber auch nur auf zwei Deutsche Meistertitel. 1931 gewann sie als letzter Berliner Verein eine Deutsche Fußballmeisterschaft.
Berlins Fußballhoffnungen ruhen also 2007 wieder auf Viktoria.
lustige Idee
Als alter Lokalpatriot halt ich mal zu Hanau